Erfahren Sie in unserem Beitrag alles Wichtige zur neuen Maschinenverordnung 2023/1230. Wir beantworten allgemeine Fragen, erläutern spezielle Änderungen in der Technischen Dokumentation und stellen Ihnen 3 Schritte vor, mit denen Ihr Unternehmen die neuen Vorgaben mühelos umsetzen kann.
Wann tritt die neue Maschinenverordnung in Kraft?
Die neue Maschinenverordnung 2023/1230 ist am 19. Juli 2023 in Kraft getreten. Hersteller und verantwortliche Wirtschaftsakteure müssen die Verordnung jedoch erst ab dem 20. Januar 2027 anwenden.
Dank einer Stichtagsregelung gibt es keine Übergangsfrist: Die bisherige Maschinenrichtlinie 2006/42/EG bleibt bis zum 19. Januar 2027 gültig. Erst ab dem 20. Januar 2027 gilt die neue Maschinenverordnung 2023/1230.
Wer ist von der neuen Maschinenverordnung betroffen?
Die Verordnung ist für alle Unternehmen relevant, die bestimmte Produkte in Verkehr bringen, in Betrieb nehmen oder selbst produzieren.
Zu diesen Maschinenprodukten gehören:
- Maschinen
- Auswechselbare Ausrüstungen
- Sicherheitskomponenten
- Lastaufnahmemittel
- Ketten, Seile, Schlingen und Gurte
- Abnehmbare mechanische Kraftübertragungseinrichtungen
- Unvollständige Maschinen
Was ändert sich mit der neuen Maschinenverordnung?
Wir haben die grundlegenden Änderungen in den folgenden Punkten für Sie zusammengefasst. Die genauen Änderungen können Sie in der Verordnung nachlesen, die Sie sich hier herunterladen können:
Wie bisher muss für jede Maschine und unvollständige Maschine eine Risikobeurteilung durchgeführt werden.
Die Risikobeurteilung muss gegebenenfalls um folgende Aspekte erweitert werden:
- Berücksichtigung von Künstlicher Intelligenz in Bezug auf ihr vollständig oder teilweise selbstentwickelndes Verhalten oder selbstentwickelnde Logik.
- Berücksichtigung zukünftiger Aktualisierungen oder Entwicklungen der in der Maschine installierten Software, die zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens oder der Inbetriebnahme der Maschine vorgesehen sind.
Konstruktion und Gestaltung gemäß
neuer Maschinenverordnung
Die Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen aus Anhang III der neuen Maschinenverordnung 2023/1230 wurden um folgende Themen erweitert:
- Ergonomie
- Mensch-Maschine-Interaktion
- Rettungsausrüstung
- Sicherheit und Zuverlässigkeit von Steuerungen
- Kommunikationsnetzverbindung
- Testbarkeit von Sicherheitsfunktionen
- Anforderungen an bestimmte Kategorien von Maschinen
Je nach Anwendbarkeit dieser Punkte auf Ihre Maschinen müssen die spezifischen Anforderungen eingehalten und dokumentiert werden.
Betriebsanleitung / Digitale Betriebsanleitung
gemäß neuer Maschinenverordnung
Die Erstellung der Betriebsanleitung erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Konstruktion und technischer Redaktion.
Es muss gewährleistet sein, dass die digitale Betriebsanleitung dauerhaft auffindbar und downloadbar ist.
Neue notwendige Inhalte für die Betriebsanleitung umfassen unter anderem:
- Konformitätserklärung oder Internetadresse bzw. maschinenlesbarer Code, unter dem diese abrufbar ist
- Hinweise zum ordnungsgemäßen Zusammenbau und Einbau von geräuschmindernden Maschinen oder Produkten
- Informationen über erforderliche Vorkehrungen, Geräte und Mittel für die sofortige und schonende Rettung von Personen
- Details zu den Emissionen gefährlicher Stoffe aus der Maschine sowie zu Auffang-, Filterungs- oder Ableitungseinrichtungen
- Angaben zu den Vibrationen handgehaltener Maschinen
Neue notwendige Inhalte für die Konformitätserklärung umfassen unter anderem:
- Angabe des verwendeten Konformitätsbewertungsverfahrens
- Auflistung der angewandten Normen
- Nennung der angewandten Teile der Norm bei teilweiser Anwendung
Produktbeobachtung gemäß neuer Maschinenverordnung
Die Anforderungen zur Produktbeobachtung sind jetzt explizit in der neuen Maschinenverordnung 2023/1230 enthalten. Während diese Pflicht bereits durch andere Rechtsvorschriften wie das Produkthaftungsgesetz bestand, wird sie nun klar in der neuen Verordnung aufgeführt.
Hersteller müssen im Rahmen einer Risikobetrachtung entscheiden, in welchem Umfang sie die Produktbeobachtung durchführen. Bei fehlerhaften Produkten müssen sie in der Lage sein, einen Produktrückruf durchzuführen.
Folgende Prozesse können im Rahmen der Produktbeobachtung implementiert werden:
- Kennzeichnung der Produkte mit individuellen Serien- oder Batchnummern und Dokumentation der Kundenlieferungen
- Prüfung und Dokumentation von Rückmeldungen aus dem Markt
- Durchführung von Stichproben im Markt, durch aktive Einholung von Kundenfeedback oder Produktprüfungen
- Pflege eines Rückrufmanagements
Sollten Sie feststellen, dass Produkte nicht den Anforderungen der neuen Maschinenverordnung 2023/1230 entsprechen und ein Rückruf notwendig ist, da daraus Sicherheitsrisiken entstehen, sind die zuständigen Behörden zu informieren.
Umgang mit Lieferanten gemäß neuer Maschinenverordnung
Auch Ihre Lieferanten müssen die Anforderungen der neuen Maschinenverordnung 2023/1230 erfüllen, sofern ihre Produkte in den Anwendungsbereich fallen. Gesetzlich ist dies jedoch erst ab dem 20. Januar 2027 vorgeschrieben.
Es empfiehlt sich jedoch, bereits im Vorfeld Gespräche zu führen oder Verträge mit Ihren Lieferanten abzuschließen, um die Einhaltung der Anforderungen ab dem Stichtag sicherzustellen.
IT-Security gemäß neuer Maschinenverordnung
Wie im Abschnitt Risikobeurteilung beschrieben, muss die Risikobeurteilung bei Bedarf um Aspekte der IT-Sicherheit (Künstliche Intelligenz, Software, etc.) ergänzt werden.
Eine klare Trennung zwischen sicherheitsrelevanter IT und „Standard“-IT ist dabei besonders wichtig.
Es müssen geeignete Maßnahmen definiert werden, um Manipulationen der Software zu verhindern oder frühzeitig zu erkennen. Mögliche Maßnahmen umfassen:
- Aufbau von Kompetenzen im Bereich IT-Security durch neue Mitarbeiter und Schulungen
- Einsatz zugekaufter Softwarelösungen mit integrierten IT-Sicherheitsmaßnahmen (z. B. Firewalls)
- Bereitstellung von Zugriffskontrollmechanismen (z. B. Benutzerkonten, Kartenleser)
- Aufrechterhaltung risikomindernder Maßnahmen (z. B. regelmäßige Updates für Antivirentools)
Schritt 1: Bestandsaufnahme
Aktueller Stand: Viele Prozesse der aktuellen Maschinenrichtlinie können auf die neue Maschinenverordnung adaptiert werden. Hierbei kann es eine Chance sein, bestehende Prozesse auf Effizienz und Umsetzung zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.
Bestehende Anforderungen:
- Recherche und Auswahl relevanter Normen für den Konformitätsnachweis.
- Einholen und Prüfen von Konformitätsnachweisen für Zukaufkomponenten.
- Normkonforme Erstellung technischer Zeichnungen, Plänen und Dokumente.
- Planung des Sicherheitskonzepts und Erstellung der Risikobeurteilung gemäß EN ISO 12100.
- Validierung der Sicherheitsmaßnahmen an Maschinen.
- Spezifizieren und Validieren der steuerungstechnischen Sicherheitsfunktion mit einzuhaltendem Performance-Level gemäß EN ISO 13849-1/2.
- Erstellen und Bereitstellen der Betriebsanleitung und Konformitätserklärung.
- Erstellen, Zusammentragen und Archivierung der gesamten technischen Dokumentation gemäß neuer Maschinenverordnung 2023/1230.
- Durchführung und Dokumentation der Produktbeobachtung.
Wenn Sie die oben aufgeführten Prozesse, sowie weitere Prozesse, die gegebenenfalls in Ihrem Unternehmen umgesetzt werden geprüft haben, können Sie evaluieren, welche neuen Anforderungen durch die Maschinenverordnung 2023/1230 hinzukommen.
Schritt 2: Planung von Prozessen
Prozessanpassung: Prüfen Sie, welche bestehenden Prozesse angepasst werden müssen und welche neu definiert werden sollen. Unterscheiden Sie dabei zwischen den Anforderungen der aktuellen Maschinenrichtlinie und den neuen Anforderungen der Maschinenverordnung 2023/1230.
Verantwortlichkeiten: Legen Sie Verantwortlichkeiten für die Umgestaltung und Definition notwendiger Prozesse fest. Dies sollte abteilungsübergreifend geschehen.
Externe Unterstützung: Ziehen Sie externe Dienstleister zur Unterstützung bei der Definition oder Umsetzung von Prozessen hinzu, insbesondere bei der Erstellung technischer Dokumentation.
Allgemein gültige Prozesse
Bestehende Prozesse bieten eine wertvolle Gelegenheit, ihre Umsetzung und Effizienz zu überprüfen und bei Bedarf anzupassen. So gelingt dies:
Ziele definieren:
- Effiziente Prüfung der Konformitätsnachweise von Zukaufkomponenten, sodass nur CE-konforme Produkte eingekauft werden.
- Verbesserte Kommunikation zwischen Abteilungen (z. B. Konstruktion und Technische Redaktion) zur Erstellung einer effizienten und vollständigen Maschinendokumentation.
- Einhaltung von Normen bei der Konstruktion und Erstellung der erforderlichen Nachweisdokumentation zur Erfüllung der CE-relevanten Anforderungen.
- Normkonforme Erstellung notwendiger Dokumente (z. B. Risikobeurteilung, Betriebsanleitung, Technische Unterlagen) zur Einhaltung der Anforderungen und Vorbereitung auf Marktaufsichtskontrollen.
Anpassung und Neudefinition innerbetrieblicher Prozesse:
- Einkaufsprozess: Anforderung und Prüfung relevanter Nachweisdokumentation von Zulieferern.
- Erstellung der Risikobeurteilung: Festlegung der Beteiligten, Beginn der Risikobeurteilung und Umsetzung der Risikominderungsmaßnahmen.
- Erstellung der Betriebsanleitung: Festlegung der Beteiligten, benötigte Informationen und Wiederverwendbarkeit von Inhalten.
- Normkonforme Konstruktion: Sicherstellung der Einhaltung aller relevanten Normen und Anforderungen.
Prozesse in Bezug auf die neue Maschinenverordnung
Prozesse, die in Bezug auf die Maschinenverordnung 2023/1230 neu definiert oder überarbeitet werden sollten, beziehen sich auf die neu hinzugekommenen Anforderungen.
Schritt 3: Umsetzen der Prozesse
Nachdem die Prozesse definiert wurden, ist es essentiell, diese im Unternehmen praktisch umzusetzen. Der genaue Ablauf hängt dabei von der Unternehmensgröße und Komplexität sowie von internen Strukturen ab.
Folgende allgemeine Maßnahmen können Sie im Rahmen Ihres Unternehmens evaluieren, anpassen und ergänzen:
- Kleine Schritte: Passen Sie bestehende Prozesse minimal und priorisiert an.
- Workshops und Schulungen: Bauen Sie Kompetenzen auf und setzen Sie Prozesse effizienter um. Involvieren Sie alle beteiligten Mitarbeiter, um Missverständnisse zu vermeiden und die Motivation zu fördern.
- Anreize schaffen: Kommunizieren Sie die positiven Mehrwerte der neuen Prozesse, wie Effizienz und Haftungssicherheit.
- Regelmäßige Prüfung: Evaluieren Sie regelmäßig die Prozessumsetzung und passen Sie sie bei Bedarf an. Nutzen Sie Mitarbeiterfeedback für wichtige Einblicke.
- Externe Beratung: Nutzen Sie Unterstützung durch externe Berater und Experten.
Unsere Experten unterstützen Sie bei einer schnellen und kosteneffizienten Umsetzung der Maschinenverordnung für Ihr Unternehmen!
Warum gibt es die neue Maschinenverordnung?
Die neue Maschinenverordnung wurde eingeführt, um die aktuellen technologischen Entwicklungen angemessen zu berücksichtigen. Sie adressiert die Anforderungen der Digitalisierung, funktionalen Sicherheit, selbstlernenden Systeme sowie der Cybersicherheit. Die Überarbeitung erfolgte unter Berücksichtigung des „Blue Guide“ der EU (Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2022) und beinhaltet eine Aktualisierung der Liste der Maschinen mit speziellen Konformitätsbewertungsverfahren (Anhang IV der Maschinenrichtlinie).
Die fortlaufende Digitalisierung bringt neue Risiken für die Maschinensicherheit mit sich, die bisherige Regelungen nicht ausreichend abdeckten. Die EU-Maschinenverordnung zielt insbesondere darauf ab, folgende Sicherheitsrisiken zu minimieren:
- Autonome Maschinen und Fernüberwachungsstationen
- Mensch-Roboter-Kollaboration (Cobots)
- Auswirkungen von Software-Updates
- Vernetzte Maschinen
Die neue Maschinenverordnung soll den Verwaltungsaufwand und die Kosten für Hersteller reduzieren, indem sie beispielsweise digitale Formate für Betriebsanleitungen ermöglicht. Einheitliche und EU-weit verbindliche Regelungen erhöhen zudem die Rechtssicherheit für Unternehmen.
Unterschied zwischen
Maschinenrichtlinie und Maschinenverordnung
Der Hauptunterschied liegt in der Verbindlichkeit beider Vorschriften. Während die Richtlinie nicht unmittelbar verbindlich ist und von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss, wird die neue Maschinenverordnung nach Ablauf bestimmter Übergangsfristen direkt in allen EU-Staaten gültig – auch in Deutschland.
Die Maschinensicherheit in Europa wird derzeit durch die Richtlinie 2006/42/EG (Maschinenrichtlinie) geregelt. Diese Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten Flexibilität bei der Umsetzung der festgelegten europäischen Anforderungen. Dies führte jedoch zu unterschiedlichen Auslegungen und damit teilweise zu Rechtsunsicherheiten für Anwender, insbesondere für Hersteller. Beispielsweise mussten Hersteller, die ihre Maschinen oder Anlagen in verschiedene EU-Länder exportierten, feststellen, dass lokale Behörden die Details der Richtlinie unterschiedlich interpretierten.